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Die 90-Tage-Warnung: Warum stehende Fahrzeuge mehr kosten als Sie denken

Standkosten quantifiziert: Was jeder Tag kostet, warum Warten teurer ist als Preissenken, und ein Framework für kluge Preisentscheidungen.

Ein Fahrzeug für 15.000 Euro steht seit vier Monaten auf Ihrem Hof. Sie haben es sauber eingepreist, die Fotos sind professionell, das Inserat läuft auf Willhaben und AutoScout24. Trotzdem: kein Abschluss. Was die wenigsten Händler in diesem Moment sehen, ist die unsichtbare Rechnung, die jeden Tag wächst. Kapitalbindung, Wertverlust, Finanzierungszinsen, Versicherung und entgangene Geschäfte summieren sich zu Beträgen, die den erhofften Gewinn längst aufgefressen haben.

Die Branche rechnet mit durchschnittlichen Standkosten von 20 bis 30 Euro pro Tag. Diese Zahl stammt aus Erhebungen des DAT Report und variiert je nach Fahrzeugsegment, Betriebsgröße und aktuellen Zinssätzen. Bei einem Fahrzeug im mittleren Preissegment bedeutet das: Nach 90 Tagen sind 1.800 bis 2.700 Euro weg. Nach 120 Tagen nähern Sie sich der 3.000-Euro-Marke. Und das Fahrzeug steht immer noch da.

Woraus sich diese Kosten zusammensetzen

Der größte Posten ist die Kapitalbindung. Die 15.000 Euro, die im Fahrzeug stecken, können Sie nicht für den nächsten Ankauf verwenden. Wer seine Fahrzeuge über eine Einkaufsfinanzierung finanziert, spürt das besonders deutlich: Die Zinssätze für Händlerfinanzierungen liegen aktuell bei sechs bis acht Prozent, nachdem sie vor der Zinswende noch bei rund 2,5 Prozent lagen. Bei 15.000 Euro Finanzierungssumme und sieben Prozent Zinsen sind das rund 87 Euro pro Monat, die Sie der Bank schulden, ohne dass sich am Fahrzeug etwas verändert hat.

Der Wertverlust läuft parallel. Gebrauchtwagen verlieren im Schnitt 1 bis 1,5 Prozent ihres Wertes pro Monat. Bei einem 15.000-Euro-Fahrzeug sind das 150 bis 225 Euro monatlich, die Sie bei einem späteren Verkauf nicht mehr erzielen können. Dazu kommen Versicherungsprämien, Stellplatzkosten und gelegentliche Aufwendungen für Pflege oder kleinere Reparaturen, damit das Fahrzeug verkaufsbereit bleibt.

Die am häufigsten übersehene Komponente sind die Opportunitätskosten. Das Kapital, das in einem Langsteher gebunden ist, fehlt für den Ankauf eines Schnelldrehers. Ein Händler, der 20 Fahrzeuge im Bestand hat und davon fünf seit über 90 Tagen stehen, blockiert ein Viertel seines Kapitals für Fahrzeuge, die keinen Ertrag bringen. Die Umschlagshäufigkeit sinkt, und damit die Rentabilität des gesamten Bestands.

Was die Zahlen wirklich zeigen

Branchenanalysen zeichnen ein klares Bild der Ertragsentwicklung nach Standzeitphasen. In den ersten 30 Tagen liegt der durchschnittliche Rohertrag bei etwa 8 bis 10 Prozent des Verkaufspreises. Zwischen Tag 31 und 60 steigt er sogar leicht an, weil Kunden auf Preisreduzierungen reagieren und die Nachfrage anzieht. Ab Tag 61 beginnt der Abstieg. Nach 90 Tagen liegt der Rohertrag oft nur noch bei der Hälfte des Ausgangswerts.

Ab dem 180. Tag rutscht die Marge ins Minus. Wer ein Fahrzeug ein halbes Jahr behält, macht im Durchschnitt knapp zwei Prozent Verlust. Und wer den 360. Tag erreicht, verbucht laut Branchendaten einen Verlust von über 20 Prozent. Das sind keine theoretischen Werte, sondern die Realität in deutschen und österreichischen Autohäusern.

Der gefährliche Instinkt

Die häufigste Reaktion auf einen Langsteher ist Abwarten. Der Gedanke dahinter klingt logisch: Das Fahrzeug wurde zu einem bestimmten Preis eingekauft, also muss der Verkaufspreis stimmen, um die Marge zu halten. Jede Preisreduktion fühlt sich wie ein Verlust an.

Diese Rechnung ignoriert die laufenden Kosten. Wenn ein Fahrzeug nach 90 Tagen nicht verkauft ist, stellt sich eine einfache Frage: Was hat sich verändert, das einen Käufer in den nächsten 60 Tagen wahrscheinlicher macht? In den meisten Fällen lautet die Antwort: nichts. Das Fahrzeug wurde bereits Tausenden potenziellen Käufern auf den Plattformen angezeigt. Wer bis jetzt nicht zugeschlagen hat, wird es auch bei unverändertem Preis nicht tun.

Eine Preisreduktion von 500 Euro nach 60 Tagen ist fast immer günstiger als 60 weitere Tage Standkosten. Bei 25 Euro pro Tag summieren sich zwei Monate auf 1.500 Euro. Die frühere Preissenkung hätte also 1.000 Euro gespart und das Kapital für den nächsten Ankauf freigemacht.

Ein Framework für Preisentscheidungen

Erfolgreiche Händler arbeiten mit einem festen Rhythmus. Alle 30 Tage wird jedes Fahrzeug im Bestand neu bewertet, nicht nach Bauchgefühl, sondern anhand aktueller Marktdaten aus den Onlinebörsen.

In den ersten 30 Tagen darf der Preis ambitioniert sein. Fahrzeuge mit geringer prognostizierter Standzeit können über dem Marktdurchschnitt eingepreist werden. Qualitäts- und imagebewusste Käufer schlagen in dieser Phase zu. Nach 30 Tagen erfolgt die erste Anpassung Richtung Marktpreis. Nach 60 Tagen sollte das Fahrzeug marktkonform oder leicht darunter liegen. Und nach 90 Tagen ist eine aggressive Preisstrategie angesagt, bevor die Standkosten den Ertrag vollständig aufzehren.

Ab 120 Tagen lohnt sich ein ehrlicher Blick auf den B2B-Kanal. Ein Verkauf an einen anderen Händler mit geringerem Aufschlag ist oft wirtschaftlicher als weitere Monate auf dem eigenen Hof. Plattformen wie AUTO1.com oder spezialisierte Auktionsportale erreichen Händler in ganz Europa, die genau dieses Fahrzeug für ihre Kundschaft suchen.

Sichtbarkeit statt Hoffnung

Das eigentliche Problem bei Langstehern ist selten der Preis allein. Es ist die fehlende Sichtbarkeit. Viele Händler bemerken erst bei der monatlichen Bestandsaufnahme, dass ein Fahrzeug seit 100 Tagen steht. Zu diesem Zeitpunkt ist bereits viel Geld verloren.

Die 90-Tage-Marke ist keine willkürliche Grenze. Sie markiert den Punkt, ab dem die Wahrscheinlichkeit eines profitablen Verkaufs rapide sinkt. Wer diese Warnung ernst nimmt und früh handelt, schützt seine Marge. Wer wartet, bezahlt den Preis der Hoffnung.